Tag 5
Ich kann mich nicht erinnern, je so eine Stille erlebt zu haben. Hier in der Wüste ist es so, als ob ich zum ersten Mal wirklich hören kann. Obwohl der Wind weht. Obwohl ein paar Männer im Zelt Tee trinken und reden. Ihre Stimmen dringen gedämpft zu mir. Und daneben immer noch diese unglaubliche, unbekannte, tiefe Stille.
Ich habe letzte Nacht besser geschlafen, als die Tage zuvor. Das Bett im Lehmhaus bestand aus einer harten, flachen Matratze, ein paar sandigen Decken und einem steinharten Kissen. Es war kühl aber nicht kalt. Und die Stille. Sie war gestern schon da, nur noch nicht so voluminös.
Heute morgen dann der Versuch, Yoga im Sand zu machen. Schwierig, vor allem wegen der drei Hunde, die meine Aufmerksamkeit forderten. Auch gut, dann nur kurz die Weite begrüßen und sich an das grelle Licht gewöhnen. Nach dem Frühstück gehen wir auf den Markt. Ein bisschen Obst, Gemüse kaufen. Ein Junge bettelt und greift in meine Tüte. J’ai faim. Ich gebe ihm einen Apfel. Ob der ihn satt machen wird? Danach noch Kanister mit Wasser kaufen. Den Rückweg zum Camp gehen wir bewusst zu Fuß.
Zu Fuß gehen erscheint uns auch später wieder die bessere Wahl, als wir uns mit Dromedaren auf den Weg machen, tiefer in die Wüste vorzudringen. Der Sand ist heiß aber brennt nicht, als ich barfuß neben meinem Dromedar her laufe. Auch hier wechselt der Boden, kleine Pflanzenteile stechen mich, Steine kitzeln und getrockneter Sand reibt auf meiner Haut. Ein gutes, echtes Gefühl. Dann kurze Rast unter einem Baum. Eine Blase am großen Zeh. Dann doch noch ein Stück Dromedar. Das Schaukeln und die Stille machen müde.
Wie kommen an. Kein Zelt aufbauen, alles steht schon, wieder die Buchstaben W und C. Auch ein paar andere Besucher. Ich höre meine Muttersprache und ärgere mich fast etwas.
Na gut, vielleicht eine Illusion, hier in so kurzer Zeit mehr ‚echt‘ zu erleben.
Aber später Feuer. Bis dahin noch etwas Stille tanken, während die Stimmen der anderen meine Ohren von nebenan her streifen.
Ich gehe raus, lege mich in die Hängematte und bereue, nichts zu schreiben mitgenommen zu haben. Der Wind weht leicht und kühl während sich die Sonne immer weiter senkt. Ich fröstele leicht und bin angenehm müde. Mein Handyakku ist fast leer. Festhalten, denke ich.
Feuer. Endlich. Wir sitzen hier nachdem wir den Sonnenuntergang auf einer Düne angesehen haben, zuvor unsere Namen in Arabisch im Sand gelesen haben. Der Sand ist so anders, dunkler, feiner. Ich möchte meine Hände vergraben in den tieferen Schichten, die auch noch nach dem Sonnenuntergang angenehm warm sind.
Dann schnell bevor es ganz dunkel ist die Düne runter rennen. Ins Zelt, in dem es Tee, Nüsse und Kekse gibt und wir Anna und Lena kennenlernen, die in Jena studieren. Anna hat mit ihren 22 Jahren schon fast die ganze Welt bereist. Sie erzählt. Ich höre ihr gern zu aber ich verspüre keinen Neid. Wir schieben die flachen Tischchen zusammen. Es gibt Suppe, danach Tajine. Zum Abschluss Obst. Heute alles vegan. Ich bedanke mich.
Ich sitze noch etwas mit Anna bei Kerzenschein und wir unterhalten uns, bevor wir zu den anderen ans Feuer sitzen. Es wird getrommelt.
Später: Brahim erzählt Witze und stellt uns Rätsel, auch wir versuchen uns daran. Ich singe doch die Deutschen trauen sich nicht richtig und bald sind nur noch Brahim, Saiid und zwei weitere, Lena und ich am Feuer. Wir spielen Kinderspiele, Tiergeräusche, Koffer packen mit Bewegungen, Flüsterpost. Es ist so simpel und doch habe ich lang nicht mehr so lachen müssen. Die Erwachsenen Männer mit ihren Turbanen schmeißen sich weg vor Lachen.
Zeitlose Momente. Wir haben weder Alter, noch Rasse, noch Geschlecht. Bei Flüsterpost beißt mich Saiid ins Ohr. Als er heute die Dromedare führte sah er aus, wie einer, der zu schnell erwachsen werden musste. Jetzt sieht er aus wie ein freies, sorglosen Kind und seine Augen leuchten. Ich frage was gute Nacht auf berber heißt. Leila Saida.
Vor unserem Zelt halte ich kurz inne. Der Mond ist inzwischen aufgegangen. Halbmond. Ich höre die Schlafgeräusche der anderen und gehe ins Zelt. Jetzt liege ich hier und lausche den Stimmen draußen. Fast schade, dass es morgen schon vorbei ist. Aber das kümmert mich nicht. Die Wüste ist ja zeitlos.
Day 5.
I cannot recall to have ever witnessed such silence. Here in the desert, it is as though I can truly hear for the first time. Despite the blowing wind. Despite a few men sitting in a tent and drinking tea. Their voices reach my ears muffeldly. And next to all that there’s still that unbelievable, unfamiliar, deep silence.
I have slept better last night than the days before. The bed in the clay house was nothing but a hard, flat mattress, a few sandy blankets and a stone-hard pillow. It was cool but not cold. And the silence. Yesterday it was there, but not yet so prominent.
Today in the morning I try to do yoga in the sand. Difficult, especially because of the three dogs that demand my attention. Fine as well, then just a short greeting the world and getting used to the dazzling light. After breakfast we go to the market. Buying some fruits, some vegetables. A boy begins begging and reaching into my bag. J’ai faim. I give him an apple. Will it still his hunger? Then buying a canister of water. We deliberately walk back to camp.
Walking also strikes us as the better option later on, when we take the dromedaries deeper into the desert. The sand is hot, but it does not burn me, as I walk barefoot next to my dromedary. Here, too, the ground keeps changing, small plants poke me, stones tickle and dried sand grinds on my skin. A good, true feeling. Then a short rest under a tree. A blister on my big toe. Then a short trip on the dromedary after all. The rocking and the silence make me tired.
We arrive. No setting up tents, everything’s been prepared, again the letters W and C. A few other visitors, too. I hear my own native tongue and almost feel a tad bit irritated.
Oh well, perhaps it was wistful thinking, to experience more ‚real‘ here in such a short amount of time.
But later on fire. Until then I load up on more silence, while the others‘ voices float past my ears.
I go outside, lie down in a hammock and regret having taken nothing along to write. The wind blows soft and cool while the sun descends further and further. I shiver a tiny bit and feel pleasantly tired. My battery is almost empty. Hold on, I think.
Fire. Finally. We sit here after having watched the sunset from a dune, having read our names being written in Arabic in the sand. The sand is so different, dark, finer. I want to bury my hands in the lower layers, that are still warm even after sundown.
Then quickly running down the dune before it becomes too dark. Into the tent, where there’s tea, nuts and biscuits, and where we meet Anna and Lena, who study in Jena. Anna, with her 22 years, has already seen most places in the world. She recounts her stories. I like listening to her, but feel no jealousy. We push together the flat tables. There’s soup, and after that tajine. Fruits to finish the meal. Today everything is vegan. I express my thanks.
I sit a while with Anna in the dim light of the candles, and we talk, before we go to the others at the fire. There’s drumming.
Later: Brahim tells us jokes and asks us riddles, which we try to solve. I sing, but the other Germans are too shy to join in and soon it’s only Brahim, Saiid and two others, Lena and I remaining at the fire. We play children’s games, Animal Sounds, I Packed My Bag, Telephone. It is so simple, and yet I have not laughed more in a long while. The adults with their turbans roll around on the ground with laughter.
Timeless moments. There’s no age, no race, no gender. Saiid bites my ear as we play telephone. When he lead the dromedaries today he looked like someone who had to grow up too quickly. Now he looks like a free, carefree child and his eyes twinkle brightly. I ask him what good night means in the berber language. Leila Saida.
I pause before our tent. The moon has risen. Half moon. I hear the sounds of the others sleeping and enter the tent. Now I lie here and listen to the voices outside. Almost sad, that tomorrow it’ll be over already. But that does not bother me now. After all, the desert is timeless.