Monstertage Teil 1

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Als das Monster das erste Mal zu mir kam, habe ich es kaum bemerkt. Ich könnte heute nicht einmal ungefähr sagen, zu welchem Zeitpunkt es sich in mein Leben schlich, es war einfach irgendwann normal, dass es da war. Aber wenn ich mir es jetzt recht überlege, muss es ein Leben vor dem Monster gegeben haben. Und es muss gut gewesen sein. Ich erinnere mich bloß nicht daran oder besser gesagt, ich erinnere mich so daran, wie man sich an einen Film erinnert. Man sieht die Bilder im Kopf und die Handlungen der Menschen aber man verbindet keine oder kaum Gefühle damit, da man es ja selbst nicht erlebt hat. So ungefähr ist das.

Als das Monster kam, war es noch klein. Ebenso klein, dass ich es erst gar nicht bemerkte. Und selbst wenn ich es bemerkt hätte, ich hätte es nicht erkannt. Ich hätte nicht erkannt, dass das Monster wirklich ein Monster ist und vielleicht habe ich es auch ab und zu dabei beobachtet, wie es auf meiner Brust herum hüpfte. Und womöglich habe ich mich dann auch gefragt, was dieses kleine Ding denn genau auf meiner Brust mache, aber es war ja noch so klein und unscheinbar, ich habe einfach keinen weiteren Gedanken daran verschwendet. Es störte ja kaum.

Und so konnte das Monster wachsen. 

Es wuchs unbemerkt und gleichzeitig mit rasanter Geschwindigkeit und eines Morgens wachte ich auf und sah es ganz klar vor mir. Mit unverhohlenem Blick starrte es mir in die Augen. Doch ich hätte es auch ohne die Augen zu öffnen gesehen, denn es saß ja auf meiner Brust. Es war mittlerweile so groß und fett geworden, dass es selbst nicht mehr hüpfen konnte und sein Gewicht drückte mich nieder, sodass ich nicht aufstehen konnte. In dem Moment fragte ich mich noch nicht, wie es so weit kommen konnte. Ich fragte mich nicht, wie ich das Monster unbemerkt so lange Zeit ernährt hatte. Ich hatte einfach nur Angst. Und da ich nicht aufstehen konnte, schloss ich die Augen ganz fest und wartete.

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Ich wartete eine gefühlte Ewigkeit im Dunkeln doch der Druck, den das Monster auf meiner Brust hinterließ, war nicht zu ignorieren. Es drückte mich so fest in meine Matraze hinein, dass ich nicht einmal auf die Idee kam, es zu bekämpfen. Es fühlte sich zwecklos an. Ehrlich gesagt dachte ich gar nicht darüber nach, mich zu wehren. Ich wollte es einfach nur weghaben. 

Nachdem ich also sehr lange den Druck auf meiner Brust ausgehalten hatte und kaum mehr Atmen konnte, beschloss ich, das Monster und mich gleich gemeinsam unter der Bettdecke zu ersticken, mal sehen, wer den längeren Atem hatte.

Ich zog also meine Bettdecke über das Monster und mich und verharrte weiter im Dunklen. Die grün leuchtenden Augen des Monsters starrten auch unter der Bettdecke weiter. Schwer war es außerdem natürlich immer noch und ich glaubte auch ein hämisches Grinsen auf seinem Gesicht zu entdecken. Es schien keine Luft zum Atmen zu benötigen. Es atmete mich.

Mein Plan war gescheitert. Aber was sollte ich tun? 

Nach einer Weile der Resignation unter der Bettdecke schlief ich unter dem Druck des massigen Monsterkörpers wieder ein. Es war ein kurzer, von seltsamen Träumen gefüllter Schlaf. Aber während des Schlafs spürte ich das Monster nicht mehr und somit lernte ich meine erste, wenn auch nicht optimale Monstervertreibungsstrategie: Ausharren und versuchen einzuschlafen.

Schon bald stellte sich jedoch heraus, dass diese Strategie nicht immer anwendbar und auch nicht sehr nachhaltig ist. Aber dazu ein andermal mehr.

Ich wachte also nach einer kurzen Schlafphasen wieder auf. Ich erinnerte mich kaum, was geschehen war. Das Monster war nicht mehr zu sehen und das einzige, was ich noch zu spürte und was und auch die nächsten Tage kaum nachließ, war dieser seltsame Druck auf der Brust. Ich entschied mich, dem keine weitere Aufmerksamkeit zu schenken und nutzte die Gelegenheit, um das Bett zu verlassen und meinem Tagewerk nachzugehen. Das Monster folgte mir unbemerkt.

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Im Laufe der Zeit kam mich das Monster immer öfter besuchen. Zu Gesicht bekam ich es meistens morgens, manchmal klopfte es schon nachmittags an und auch wenn ich nie wollte, öffnete ich ihm doch fast täglich oder ließ von Zeit zu Zeit auch unbedacht die Tür oder das Fenster einen Spalt offen. Wie das mittlerweile wirklich riesige Ding es schaffte, sich durch jeden noch so kleinen Spalt zu quetschen, ist mir bis heute ein Rätsel. Es muss wohl so etwas wie ein Formwandler sein oder extrem gelenkig. Eventuell passt es sogar durch jede noch so kleine Öffnung. Ich glaube es einmal dabei beobachtet zu haben, wie es sehr flink und unangekündigt an einem regnerischen Herbstabend durchs Schlüsselloch in mein Schlafzimmer kam. Ich weiß es nicht mehr genau.

Besonders schwierig gestalteten sich die Besuche des Monsters an Arbeitstagen. Man kann sich vorstellen, wie unpraktisch es ist, morgens beim Aufwachen ein tonnenschweres, grinsendes Monster auf der Brust sitzen zu haben, gerade wenn man eigentlich aufstehen sollte, sich im Bad fertig für den Tag richten und dann zügig das Haus verlassen. Das, was für viele Menschen einfach ein Stück routinierter Alltag ist, wurde für mich zum täglichen Kampf. Die Strategie des Ausharrens und Weiterschlafens erwies sich hier als äußerst unpraktisch. Es hieß also, das Monster zu ignorieren. Dann fängt es nämlich an, nervös auf einem herum zu stampfen (hüpfen kann es aufgrund seiner Körperfülle ja nicht mehr). Nutzt man diesen Moment gezielt aus, um schnell aufzuspringen, verliert das Monster sein Gleichgewicht und fällt um und wenn man dann ganz schnell ins Bad rennt, kommt es nicht hinterher. 

Das funktionierte dann auch einige Wochen sehr gut, aber das Monster ist nicht dumm und es lernt täglich dazu. Irgendwann fing es an, mich einfach vor der Badtür abzupassen. Ich musste also auch hier sehr flink sein und einfach so schnell wie möglich das Haus verlassen. Das Monster ist nämlich ein Stubenhocker und es möchte, so vermutete ich zuerst, nichts anderes, als Dir den ganzen Tag auf  Brust zu sitzen und Dich bewegungsunfähig zu machen. Deshalb ist es immer besser, draußen zu sein als drinnen, obwohl mich das Monster mittlerweile auch draußen abholt und in die Wohnung schleift, wie gesagt, es ist lernfähig. Aber dazu später.

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Nach einigen Wochen, als das Monster meinen Plan durchschaut hatte, änderte es seine Strategie. Es stürzte sich einfach auf mich, sobald ich von der Arbeit kam und ließ mich dann bis zum folgenden Tag nicht mehr hinaus, bloß die Gassirunde mit dem Hund war erlaubt. Es scheint, dass dem Monster der Hund nicht geheuer ist, zumindest konnte ich beobachten, dass es nie auf dem Hund sitzt. Immer nur auf mir. Und wenn der Hund ganz nah kommt, lässt das Monster manchmal einfach ab von mir.

Auf jeden Fall waren dann bis auf die Gassirunden alle Aktivitäten außerhalb der Arbeit gestrichen. Ich ging nicht mehr zum Chor. Nicht mehr tanzen. Nicht mit Freunden aus, nichts. Das Monster war jetzt mein selbsternannter Freund. Ob es mich jemals um Erlaubnis gefragt hat, in mein Leben zu kommen, selbst das kann ich heute nicht mehr sagen.

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Mit der Zeit entwickelte sich das Monster weiter. Es wuchs zwar nicht mehr, dennoch gewann es spürbar an Gewicht. Und so, wie sich das Monster neue Strategien zulegte, so musste auch ich mir neue Taktiken zulegen, um im täglichen Kampf zumindest eine Chance zu haben. 

Das Monster hatte mittlerweile herausgefunden, wie es sich morgens so an mich dranklammern konnte, dass es nicht abzuschütteln war. Selbst beim morgendlichen Yoga, welches das Monster nun wirklich verabscheut, denn es verabscheut jegliche Art von Bewegung, schaffte es das Monster, sobald ich den Sonnengruß beendet hatte, wieder rücklings auf mich aufzuspringen. Also begann ich mit Atmen. 

Atmen. Das klingt einfach. Ja, für jemanden der ohne Monster wohnt, ist es das vermutlich auch. Aber durch das Monster hatte ich das Gefühl, gar nicht mehr richtig zu Atem zu kommen. Und das tägliche Meditieren mit Konzentration auf den Atem schien tatsächlich ein wenig zu helfen. Zumindest wollte mich das Monster danach nicht mehr zurück ins Bett ziehen.

Im Sommer gab es noch eine weitere Monsterabschüttelungsstrategie: das Baden im kalten See. Am besten nackt, denn dann kann sich das Monster nicht so gut an einem Festhalten, falls das Wasser nicht kalt genug ist, um es abzuschrecken.

Ich ging sogar für einige Wochen in ein professionelles Monstervertreibungzentrum, aber dort lernte mein Monster nur seinesgleichen kennen und kam so nur auf weitere, dumme Ideen, wie es mich ganz für sich beanspruchen konnte. Zudem wollten sie dort mein Monster vergiften, was mir dann doch zu drastisch schien, denn zu dem Zeitpunkt erahnte ich bereits etwas. Irgendeinen Grund hatte es doch, dass dieses Monster so unermüdlich an meiner Seite war und mich jeden Morgen mit einer unerträglichen Schwere begrüßte. Womöglich wollten mir diese großen grünen Monsteraugen nur etwas sagen und sobald ich es verstanden hätte, würde das Monster ganz von alleine wieder verschwinden? Die selbsternannten Monsterexperten meinten jedoch, es wäre unumgänglich, das Monster zumindest ein wenig ruhig zu stellen und so entschied ich mich, es zu probieren.

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Mein Monster war sediert. Es lief weiter mit mir durch den Garten des Monstervertreibungszentrums, es aß mit mir und es spielte sogar Tischtennis auf meinem Rücken aber es war nicht mehr so schwer. Und irgendwie war es mir egal. Allerdings war mir auch alles andere auf einmal irgendwie egal und da dämmerte mir endgültig, dass dieses Monster nicht einfach sediert werden konnte, da es mittlerweile ein Teil von mir geworden war und man mit ihm auch gleichzeitig mich sedierte. Ich beschloss also, nach meinem Aufenthalt im Monstervertreibungszentrum das Monster nicht weiter ruhig zu stellen.

Es lagen aber noch ein paar Wochen vor Beendigung des Aufenhaltes und so entschied ich mich, mehr mit den anderen Monsterbesitzern dort in Kontakt zu treten. Wenn mein Monster das konnte, dann konnte ich das auch.

Ich traf einige, die ähnliche Monster hatten wie es meines war und ich traf andere, die andere Monster hatten. Manche Monster waren schon sehr, sehr lange bei ihrem Besitzer und das sah man dann auch gleich an deren Ausdruck, denn man konnte nicht mehr genau unterscheiden, was Monster und was Mensch war und wenn man mit Ihnen redete geschah es oft, dass man statt mit dem Besitzer plötzlich dem Monster redete. 

Andere hatten sehr leise und fast unsichtbare Monster, die man erst auf den zweiten oder dritten Blick entdeckte und einmal sah ich sogar auf der Schulter einer Mitarbeiterin des Monstervertreibungszentrums ein kleines, langmähniges und feuerrotfarbenes Monster mit langen gelben Reißzähnen sitzen. Ich bin mir bis heute nicht sicher, ob es ursprünglich ihr Monster war, oder ob es ihr ein anderer Monsterbesitzer hinterlassen hatte.

Und dann traf ich Dich.

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Du saßt plötzlich vor uns. Ich sah Dich an und vergaß nicht nur mein Monster schlagartig sondern auch meine Alles-egal-Haltung. Ich glaube selbst mein Monster war erst einmal sprachlos. Du hattest ein nach außen hin kaum sichtbares Monster, es kam nur ab und zu in deinem Blick zum Vorschein. Dann sah ich Dir an, dass Du Dich schämtest. Für Dich war Dein Monster ungreifbar groß, mir erschien es harmlos und sogar fast sympathisch.

Mit der Zeit lernten wir uns besser kennen, ab und an zeigte einer dem anderen ein Stück seines Monsters aber immer nur kurz, denn irgendwie hatten wir ja auch Angst. Und ich war verunsichert. Einerseits erschien alles Sinn zu ergeben aber andererseits konnte ich es auch nicht in Worte fassen.

Es gab sogar Tage und noch mehr Nächte, an denen wir kurze Strecken ohne unsere Monster liefen, denn diese blieben ganz freiwillig auf den Zimmern, während wir die Sterne des Sommernachshimmels beobachteten. Und einmal, als wir uns umarmten, da merkte ich, wie auch unsere Monster sich umarmten und kurz schien es, als ob alle miteinander Frieden geschlossen hätten.

Doch die Zeit verging, Du brachtest mich zum Bus. Ich fuhr mit den Gedanken bei uns nach Hause und mein Monster nahm sich ein Taxi und folgte mir ein paar Stunden später.

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